erreichbar unter
eBook Werbung

DIE GUTEN ALTEN ZEITEN

Editorial

DIE GUTEN ALTEN ZEITEN

DIE GUTEN ALTEN ZEITEN

Es gibt Orte, die nicht nur aus Wänden, Tischen und einem Tresen bestehen. Orte, die nach Bier und Rauch riechen, in denen das Licht gedämpft, die Stimmen laut und die Geschichten endlos sind. Orte, an denen man sich auf ein Feierabendbier trifft, mit Fremden ins Gespräch kommt, sich über den Fußballverein aufregt oder einfach in Ruhe sein Bier trinkt, ohne schief angeschaut zu werden. Diese Orte sind unsere Kneipen. Oder besser gesagt: Sie waren es.

Die traditionelle Kneipenkultur ist im Niedergang begriffen. Was einst das Herz vieler Stadtviertel und Dörfer war, verschwindet langsam, fast unbemerkt – bis man eines Tages vor verschlossenen Türen steht, wo früher der Wirt noch bis weit nach Mitternacht Zapfhähne und Gespräche am Laufen hielt. Das Kneipensterben ist ein schleichender, aber unaufhaltsamer Prozess, der sich seit Jahren vollzieht.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Da sind zunächst die wirtschaftlichen Zwänge: Steigende Pacht- und Energiekosten, höhere Getränkepreise, ein immer strengeres Regelwerk, das kleinen Wirten das Überleben schwer macht. Die Konkurrenz durch Supermärkte, die Bier für einen Bruchteil des Preises verkaufen, und durch schicke Cocktailbars, die ein jüngeres, zahlungskräftiges Publikum anziehen.

Ein weiteres Problem ist die Veränderung der Gesellschaft. Wo früher das Feierabendbier in der Kneipe selbstverständlich war, dominieren heute andere Freizeitgewohnheiten. Streamingdienste, Social Media und Home-Entertainment machen es einfacher, zu Hause zu bleiben, statt sich in der Kneipe unter Menschen zu mischen. Zudem trinken viele bewusster oder verzichten ganz auf Alkohol – die Work-Life-Balance muss passen – ein Trend, der vor allem junge Leute betrifft.

Und dann sind da noch die gesetzlichen Vorgaben, allen voran das Nichtraucherschutzgesetz. Für viele Kneipen, die traditionell von einem treuen Raucherpublikum lebten, war das ein Todesurteil. Natürlich kann man die gesundheitlichen Argumente nicht weg-

diskutieren. Aber der Charme einer echten Eckkneipe war oft untrennbar mit dem blauen Dunst, dem verrauchten Holzinterieur und der unverwechselbaren Mischung aus Bier, Tabak und Zeitungsdruck verbunden. Und mit dem Sparfach, den Spielautomaten, den Frikadellen unter der Glashaube, den Wi-Pa-Mi-Bratrollmöpsen und der obligatorischen Spardose zur Rettung Schiffbrüchiger!

Die klassische Raucherkneipe war nicht nur ein Ort für Kettenraucher, sondern ein Raum für Gespräche, für spontane Begegnungen, für ein Gefühl von Zugehörigkeit. Hier saß der Bauarbeiter neben dem Lehrer, der Rentner neben der Studentin. Es war egal, wer man war oder woher man kam – wichtig war nur, dass man sein Bier bezahlte und den Wirt nicht verärgerte. Und wenn man bekannt und kreditwürdig war, durfte man sogar einen Deckel machen!

Seitdem der Rauch aus den meisten Kneipen verschwunden ist, sind es auch viele der Gäste. Nicht, weil sie nicht mehr ohne Zigarette trinken können, sondern

weil mit dem Rauch auch ein Stück Atmosphäre, ein Stück Ungezwungenheit, verloren ging. Die übrig gebliebenen Raucherkneipen sind oft kleine, versteckte Relikte aus einer anderen Zeit – überlebende Inseln in einer Welt, die sich verändert hat.

Mit jeder Kneipe, die schließt, verlieren wir mehr als nur einen Ort zum Trinken. Wir verlieren einen Ort der Begegnung, der Spontaneität, des echten Miteinanders. Ein Ort, an dem man sich ohne Voranmeldung treffen konnte, an dem Gespräche nicht in Chatfenstern, sondern von Angesicht zu Angesicht stattfanden.

Kneipen waren immer mehr als bloße Wirtshäuser. Sie waren Wohnzimmer für jene, die keines hatten, Stammtische für Gemeinschaften, die sich sonst nirgends trafen. Sie waren Zeugen unzähliger Lebensgeschichten, Kummerkasten und Freudenspender zugleich.

Trotz all der Herausforderungen gibt es sie noch, die Wirte, die gegen den Trend ankämpfen. Manche setzen auf neue Konzepte, bieten handgebrautes Bier oder Livemusik an, organisieren Quizabende oder laden zu besonderen Events. Andere versuchen, mit Crowdfunding oder Genossenschaftsmodellen ihre Kneipen am Leben zu halten.

Doch letztlich liegt es an uns allen, ob diese Kultur überlebt. Es reicht nicht, nostalgisch von den „Guten alten Zeiten“ zu schwärmen, wenn wir heute unser Bier lieber auf dem Sofa trinken. Wer den Wert einer Kneipe erkennt, muss hingehen, ein Bier bestellen, mit dem Wirt ins Gespräch kommen. Denn am Ende geht es nicht um Rauch oder Nichtrauch, um alt oder neu – es geht darum, Orte der Gemeinschaft zu bewahren.

Prost – auf die guten alten Zeiten. Und darauf, dass sie vielleicht doch nicht ganz verschwinden…

Herzlichst, wo immer Ihr seid

Elke Siedentopf & Dirk Sork

Continue Reading

Mehr aus Editorial

  • Editorial

    DIE GEISTERSTADT

    Von

    Vor einigen Jahren haben wir mal in einer geselligen Stammtischrunde über die damals schon erkennbaren Veränderungen...

  • Editorial

    LETZTE KLASSENTREFFEN 

    Von

    Mit Klassentreffen ist das ja immer so eine Sache. Man bekommt die Einladung, will nicht hingehen,...

  • Editorial

    DRAUSSEN NUR KÄNNCHEN

    Von

    An meine ersten Erfahrungen in der Gastronomie kann ich mich noch sehr gut erinnern. Wie wohl...

  • Editorial

    ZWIWA

    Von

    Wie der geneigte Leser sich sicherlich denken kann, ist unser Beruf mit sehr vielen Veranstaltungen und...

  • Editorial

    THE SOUND OF DISCO

    Von

    Kinder, wie die Zeit vergeht! Unsere Eltern haben uns damals erzählt, dass die Zeit immer schneller...

To Top