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Editorial

DISCO IST TOT!

DISCO IST TOT!

Ich erinnere mich noch gut, es war 1978. Ein neuer Sound ging um die Welt, John Travolta war auf der Titelseite der „Bravo“ und „Saturday Night Fever“ war der Kinohit des Jahres. Mein Gott! ALLE wollten sein wie John Travolta! Ich war fünfzehn Jahre alt und musste die Dame an der Kinokasse regelrecht beknien, dass ich ins Kino durfte. Was ich dann sah, prägte mein Leben: Beleuchtete Tanzflächen, wie man sie bis dato nicht gesehen hat; Spiegelkugeln über der Tanzfläche und John Travolta elegant im weißen Anzug mit schwarzem Hemd und Goldkettchen unerreicht elegant auf der Tanzfläche zum Sound der Bee Gees! Der lebensgroße Starschnitt aus der „Bravo“ klebte an der Wand in meinem Jugendzimmer, und da ich das Geld nicht hatte für einen „echten“ weißen Anzug, musste es ein Jeansanzug mit billigem schwarzem Hemd von C & A sein. Aber egal, für die heimische Disco am Samstagabend hat das gereicht. John Travolta trank in seine Stammdisco „2001 Odyssee“ in New York immer einen „77“ – was immer das war. Ich war in meiner Stammdisco, hatte kaum Geld und wollte lieber ein Bier trinken, aber bestellte ganz cool einen „77“. Ich weiß nicht mehr, was der Barkeeper geantwortet hat, aber das war auch egal – die Läden waren voll! Alle!

Als ich zum ersten Mal im „Musikpalast“ in Hannover war, traute ich meinen Augen kaum: Nachdem ich die Türsteher passiert hatte, schob sich ein voluminöser Vorhang zu Seite, und mitten auf der Tanzfläche tanzte ein Go-Go-Girl zu Stephanie Mills´ “Never knew love like this before“ in einem gläsernen Fahrstuhl, der sich direkt über der Tanzfläche auf und ab bewegte. Das war meine Welt. Glitzernde Tanzflächen, illustre Outfits, unbeschwertes Feiern zu fantastischer (Soul-) Musik, Heteros, Schwule, Lesben – völlig egal. Ekstase! Das hat mein Leben über Jahrzehnte geprägt.

2025. Neulich sprach ich mit einem Discothekeninhaber aus der Region, der seine Disco seit 45 (!) Jahren führt, und wir verstehen beide die Welt nicht mehr. Samstagabend, 50 Gäste in der Disco. An einem Abend, an dem vor noch zehn Jahren 1.000 Gäste feierten! Früher: Discos an jeder Ecke! In Bad Oeynhausen pendelte man im sogenannten „Bermuda-Dreieck“ zwischen dem „Belle Epoque“, dem „Project“ und dem „Rodeo“. Daneben gab es aber noch zig andere Läden – nur in Bad Oeynhausen. Jedes Dorf hatte eine Disco – sogar Schnathorst! In den „Struckhof“ fuhren wir immer sonntagnachmittags mit der Mofa zur Teeniedisco. Städte wie Minden oder Herford hatten zig Discotheken, nun ist sogar der legendäre „Go Parc“ insolvent.

Ich weiß nicht, WAS passiert ist, aber die Zeiten haben sich geändert. Für uns war damals ein Leben ohne Discos unvorstellbar. Die heutige Jugend setzt anscheinend andere Prioritäten. Wie sagte mir neulich der 25-jährige Sohn einer Freundin, als ich ihn fragte, was er denn mit seiner Clique so am Wochenende mache: „Wir gucken Netflix, chillen, puzzeln und ich lege mir gerade einen Kräutergarten an“. 

Ende der Diskussion!

Herzlichst, wo immer Ihr seid

Elke Siedentopf & Dirk Sork

(Foto: Sven Schulze)

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